126. Kapitel

Die Mutter der Barmherzigkeit sprach mit der Braut Christi (Birgitta) und sagte: „Was sollen wir mit diesem blinden Bischof machen? Er hat ja drei Eigenschaften: Er arbeitet dafür, den Menschen mehr zu gefallen als Gott, er liebt den Schatz nicht, den die Engel bewachen, sondern den, den Diebe stehlen können, und er liebt schließlich sich selber mehr als seinen Nächsten, und mehr als seinen Gott.“

Und siehe, im selben Augenblick sah die Braut so etwas, wie sechs Waagen, von denen drei niedrig herunterhingen, da sie von seiner Bürde belastet waren, während drei andere so leicht waren, dass sie hoch oben hingen, weil man nichts auf ihnen sehen konnte außer etwas Leichtem, das einer Flaumfeder glich. Und die Mutter sagte: „Siehe, obwohl dieser Bischof die drei vorher genannten schlechten Eigenschaften hatte, lebt er doch ständig in Angst, und wegen dieser Furcht, die einen Ansporn zur Liebe in sich birgt, ist es dir vergönnt, seine Lage zu sehen.

Denn die schweren Waagschalen bezeichnen seine gegen Gott gerichteten Taten, die seine Seele bedrücken. Sie erscheinen dir als drei, da er durch seine Gier, seine Reden und sein Tun wie eine Waage zu der Welt hin heruntergedrückt wird. Die anderen drei Waagschalen scheinen dir auf Grund seiner Leichtfertigkeit hoch zu hängen, denn bald steigt er durch Gedanken, bald durch seinen Willen, bald durch sein Tun hinauf zu Gott, doch hat das Irdische das Übergewicht gegenüber dem Geistlichen, denn mit Ersten beschäftigt er sich eifriger und fleißiger, so dass ihn schon der Teufel an den Füßen zieht und die Schlinge schon bereit ist.“

Die Braut erwiderte: „O du Frau der Milde, leg etwas auf die Waagschalen!“
Die Mutter sagte: Agnes und ich haben gewartet, um zu sehen, ob der Bischof sich an unsere Liebe erinnern würde, aber er kümmert sich nicht besonders um unsere Liebe erinnern würde, aber er kümmert sich nicht besonders um unsere Fürsorge. Doch wollen wir mit ihm verfahren wie drei Freunde, die am Wege saßen und ihn, da sie ihn kannten, ihrem Freunde zeigten. Der erste von Ihnen sagte: „O Freund, der Weg, den du gehst, ist weder gerade noch sicher; wenn du ihn weitergehst, werden dir die Räuber schaden, und wenn du dich sicher glaubst, wirst du sterben.“

Der zweite sagte: „Der Weg, den du wanderst, scheint dir angenehm zu sein, aber was nützt dir das, wenn der am Ende Bitterkeit im Herzen verursacht?“ Der dritte sagte: O Freund, ich sehe deine Krankheit, und deshalb soll es dir nicht missfallen, wenn ich dir einen Rat gebe, und du sollst nicht undankbar sein, wenn ich dir eine besondere Liebe erweise.“ So wollen ich und Agnes mit diesem Bischof umgehen. Wenn er auf den ersten hört, wird der zweite ihm den Weg zeigen, und der dritte wird ihn ins Land des Lichtes führen.“

Darauf zeigte sich der Braut das, was von oben zur Unterweisung desselben Bischofs gesandt wurde, und dies wird nun mitgeteilt.
Die Mutter spricht: „So soll dem Bischof gesagt werden: Obwohl Gott alles tun kann, muss der Mensch doch selber dabei mitwirken, dass man der Sünde ausweicht und man die göttliche Liebe empfängt. Es gibt drei Mittel, um der Sünde auszuweichen, und drei Mittel, die Liebe zu empfangen. Die drei Mittel, um der Sünde auszuweichen, bestehen darin, all das aufrichtig zu bereuen, was das Gewissen belastet, das nicht mehr freiwillig begehen zu wollen und das Begangene und die begangenen und gebeichteten Sünden auf den Rat derer, die die Welt verschmäht haben, standhaft zu bessern.

Die drei Mittel, die zum Erwerben der Liebe zusammenwirken, sind folgende: Erstens, Gott um Hilfe zu bitten, so dass die böse Begierde verschwindet und dem Willen Raum gibt, das zu tun, was Gott gefällt. Denn die Gottesliebe ist nicht zu erlangen, wenn man sich nicht danach sehnt, und diese Sehnsucht ist nicht vernunftgemäß, wenn sie nicht durch die Liebe zu Gott Stetigkeit gewinnt.

Daher gibt es beim Menschen drei Dinge, ehe die Liebe Eintritt gewinnt, und drei andere kommen hinzu, wenn die Gottesliebe eingegossen wird. Vor dem Eingießen der Gottesliebe beunruhigt sich der Mensch wegen der Ankunft des Todes, vor der Verminderung seiner Güter und der Freundschaften, vor weltlichen Unglücksfällen und körperlicher Krankheit. Aber wenn er die Liebe empfängt, tritt in der Seele Freude über die irdischen Widrigkeiten ein, man leidet, und die Sinne ängstigen sich davor, die Welt zu besitzen, aber freuen sich darüber, Gott ehre zu erweisen und darüber, für Gottes Ehre zu leiden.

Das zweite Mittel, wodurch die Liebe erworben wird, besteht darin, Almosen von seinem Überfluss zu geben. Denn wenn der Bischof Hausgerät und Gewänder hat, wie es einem demütigen Prälaten zukommt, - zum notwendigen Lebensunterhalt, aber nicht zur Prahlerei und zum Überfluss, so soll er sich damit genügen lassen und den Rest für Almosen verwenden. Wenn sich die armen Diener der Prälaten durch zeitliche Güter und Besitztümer anderer bereichern und sich damit hervortun, dann sollen andere, wirklich Arme lauthals „Rache!“ über sie rufen.
Das dritte Mittel, Liebe zu erwerben, ist das Bemühen der Liebe. Z.B. wenn jemand nicht mehr als ein einziges Vaterunser liest, um Liebe zu gewinnen, so wird er Gott gefallen, und die Gottesliebe wird ihn schneller erreichen.“

Weiter sagte die Mutter zu ihrem Sohn Christus: „Gesegnet seist du, Jesus Christus, vornehmster Kämpfer, der du so schnell gewesen bist, den Weg zu laufen, und so stark und ausdauernd im Streit. Es steht geschrieben, dass David ein großer und starker Kämpfer war, aber er war keineswegs so wie du. David kam aus weitem Abstand angesprungen und schleuderte einen Stein gegen den Feind, aber du nahtest dich dem Feind auf deinen Füßen und zerschlugst ihm den Rücken.

David zog das Schwert des gefallenen Feindes und schlug ihm den Kopf ab, aber du nahmst dem stehenden Feind das Schwert ab, besiegtest ihn, als er lebte, mit deiner Geduld und nahmst dem Starken seine Kraft mit deiner Demut. Deshalb bist du der Kämpfer der Kämpfer; keiner war oder wird dir gleich sein. Aus dem kraftvollen Vater ging nämlich der stärkste Sohn hervor, und dieser befreite seinen Vater und seine Brüder.

Ich bitte dich also, du huldreichster Kämpfer, dass du diesen Bischof lehrst zu kämpfen, und Kraft, auf der Rennbahn (? vädjoband) der Kämpfer zu laufen, so dass er seinen Platz unter den wahren Kämpfern einnehmen kann, die ihr Leben für das wahre Leben hingaben und ihr Blut für deines geopfert haben.“
Der Sohn erwiderte: „Das Gebet der Liebe soll man nicht gering achten. Die Schrift sagt ja, dass niemand zu mir kommt, wenn der Vater ihn nicht zieht. Wenn der, der zieht, stark ist, aber das, was gezogen wird, übermäßig schwer ist, wird die Arbeit rasch vergeblich und wird zunichte. Wenn das, was gezogen wird, angebunden ist, kann dem, der zieht, nichts helfen oder ihm beistehen, wenn er fällt. Wenn es unrein ist, ist es widerlich, es noch zu ziehen.

Deshalb muss der, der gezogen werden soll und sich ziehen lassen möchte, erst gereinigt werden und sich in passender Weise vorbereiten, so dass es angenehm wird, ihn mit den Händen zu ziehen. Aber um der Gebote meiner Mutter willen soll diesem Bischof der rechte Weg gezeigt werden, wenn er ihn sucht.“

Danach sagte die Mutter zur Braut: „Höre, denn es ist dir vergönnt, geistliche Dinge zu vernehmen. Ich sagte dir vorher, dass, wenn der Bischof den Weg sucht, soll er ihm gezeigt werden. Deshalb werde ich ihm jetzt den Weg zeigen. Wenn dieser Bischof den Weg wandern will, von dem das Evangelium spricht, und einer von den Wenigen sein Will, muss er drei Dinge haben, ehe er den Weg einschlägt. Er muss zuerst die Last ablegen, die auf ihm liegt und ihn bedrückt, d.h. die weltliche Lust und den Geldbeutel, so dass er nicht die Welt liebt, so dass er ihn nicht zum Überfluss und Hochmut anwendet, sondern nur zu seinem notwendigen Lebensunterhalt – nach den ehrbaren und demütigen Erfordernissen, und so dass er alles, was er nicht benötigt, zu Gottes Ehre verwendet.

Das hat nämlich der gute Matthäus getan: Er legte die schwere Bürde der Gewinnsucht ab, von der er doch nicht verstand, wie schwer sie war, bevor er Gottes leichtes und liebliches Joch auf sich nahm. Zweitens muss er gegürtet und bereit sein, abzureisen, wie die Schrift erzählt, dass Tobias, als er von seinem Vater geschickt wurde, um Geld zu holen, einen zur Reise gekleideten Engel am Weg fand.

Was bezeichnet diese Engel anderes, wenn nicht den Priester und Bischof des Herrn, der rein im Fleisch und im Begierden ist? Nach der Prophetie ist ja der Priester der Engel des Herrn der Heerscharen, da er den Gott empfängt und weiht, den die Engel sehen und anbeten. Was bedeutet es, dass der Engel sich dem Tobias umgürtet am Wege zeigte, wenn nicht, dass jeder Priester und Bischof mit dem Gürtel der göttlichen Gerechtigkeit sein muss – bereit, seine Seele für seine Schafe hinzugeben, bereit, die Wahrheit mit Worten auszusprechen, bereit, den Weg der Gerechtigkeit mit Taten zu veranschaulichen, bereit, für Gerechtigkeit und Wahrheit zu leiden und sie nicht auf Grund von Drohungen und Schmähungen zu verkleinern, sie nicht auf Grund von falscher Freundschaft zu verschweigen und nicht zu unterlassen, sie in die Tat umzusetzen, weil ein paar Menschen ihm abraten.

Zu jedem Bischof, der in dieser Weise in Gerechtigkeit gekleidet ist und nicht auf sich selbst vertraut, sondern auf Gott – zu dem wird Tobias kommen, d.h. der gerechte Mensch, und gerechte Menschen werden ihm folgen, denn gute Beispiele und Taten nützen mehr, als bloße Worte.

Drittens soll er Brot und Wasser verzehren, wie man, über Elia liest, dass er an seinem Kopfende Brot fand, und dass er von einem Engel ermahnt wurde, zu essen, da er einen weiten Weg vor sich hatte. Was ist das Brot, das Elia aß, und durch das er solche Kraft erhielt, wenn nicht das leibliche und geistliche Gut, das ihm gegeben wurde?

Das leibliche Brot wurde nämlich als Beispiel für andere zubereitet, so dass man wissen sollte, dass es Gott wohlgefällig ist, wenn man den maßvollen Lebensunterhalt zur Erquickung des Leibes hat. Es wurde ihm auch prophetische Eingebung und geistliche Stärke verliehen, als er seinen 40 Tage langen Weg machte, so dass man wissen sollte, dass der Mensch nicht vom Brot allein, sondern von jedem Worte Gottes lebt.

Denn wenn Gott nicht den Trost der Prophetie in ihn eingegossen hätte, wäre er sicher in Folge seiner eigenen Schwachheit zu Grunde gegangen, denn er war an sich ein schwacher Mann, aber stark durch Gott. Jeder, der aufrecht steht und stark ist, hat Stärke und Manneskraft durch Gott. Weil dieser Bischof nun schwach ist, verordnen wir ihm ein Stück Brot, d.h. Gott über alle Dinge zu lieben, wohlgeordnet, rein, wahrhaftig und vollkommen.

Wohlgeordnet, so dass er nicht das Weltliche liebt, um es im Überfluss zu besitzen; rein, so dass er keine Sünde an sich oder am Nächsten liebt und keine schlechte Angewohnheit nachäffen will; wahrhaftig, so dass er sich keine Sünde im Vertrauen auf seine guten Werke erlaubt, sondern mit seinen Kräften haushält und so der Gefahr entgeht, auf Grund von allzu großem Eifer zusammenzubrechen und zu Sünde und Kleinmut verleitet zu werden, - oder dadurch, dass er die Bösen nachahmt und ein Versehen für unbedeutend hält – vollkommen, so dass ihm nichts so lieb ist wie Gott.

Weiter ermahnen wir ihn, Wasser bei dem Brot der Liebe zu haben. Was ist dieses Wasser, wenn nicht das, ständig die Bitterkeit des Leidens Jesu Christi zu bedenken. Wer kann die Pein von Christi Menschengestalt in vollem Maß bedenken, die er litt, als er darum bat, dass ihm der Kelch des Leidens erspart bleibe, und als Bluttropfen aus seinem Körper drangen?

Mit Recht war dieser Schweiß blutig, denn das Blut von Gottes Menschengestalt wurde von der natürlichen Furcht hervorgerufen, die er litt, so dass er zeigen konnte, dass er ein wirklicher, nicht unscheinbarer Mensch war, und nicht frei von Leiden. Der Bischof soll also dieses Wasser trinken, wie Gott vor Herodes und Pilatus stand, wie geplagt und verachtet er am Kreuz hing, und wie seine Seite von einem Speer geöffnet wurde, so dass Blut und Wasser daraus hervordrang.
Wenn der Bischof die drei genannten Dinge besitzt, ist es für ihn weiter nützlich, zu wissen, wie er seine Zeit vom Tagesbeginn bis zur Abenddämmerung einrichten soll. So bald der Bischof aus dem Schlaf der Nacht erwacht, soll er Gott für seine Liebe bei der Schöpfung danken, für sein Leiden bei der Erlösung und für die Geduld, mit der er seine Sünden und Unarten ertragen hat.

Wenn er aus dem Bett aufsteht und sich anzieht, soll er sagen: „Die Erde muss einmal mit seiner Erde bekleidet werden, und die Asche muss mit seiner Asche sein. Aber da ich mit Gottes Vorsehung ein bischöfliches Amt bekleide, um für andere ein Spiegel zu sein, bekleide ich dich, deinen Esel, der mein Leib ist, mit Asche und Erde, nicht aus Hochmut, sondern um dich zu bedecken, so dass deine Nacktheit nicht zu sehen ist. Ich kümmere mich nicht darum, falls deine Kleidung besser oder dürftiger ist, nur dass sie so ist, dass das Bischofsgewand zu Gottes Ehre zu erkennen ist und die bischöfliche Amtsgewalt von anderen durch die Tracht zu unterscheiden ist – zur Zurechtweisung und Unterrichtung der Schwachen.

Daher bitte ich dich, mildester Gott, der mich in deiner Gnade berufen hat: Gib mir einen Sinn, so dass ich durch den großen Wert der „Asche“ nicht hochmütig werde oder töricht mit der Farbe prahle, und gib mir die Stärke der Tugenden, so dass – wie das Bischofsgewand auf Grund der göttlichen Amts voll macht ehrwürdig vor anderen ist, auch das Gewand der Seele in dir tugendreicher ist, und ich nicht zur Strafe für einen unklugen Gebrauch der Amts würde umso tiefer sinken muss, oder zur Strafe dafür, dass ich eine ehrwürdige Tracht unwürdig getragen habe, umso schimpfliger entkleidet und verdammt werde.“

Dann soll der Bischof seine Stundengebete lesen oder sie singen, wenn er kann, denn eine je höhere Würde ein Mensch erreicht hat, umso größere Ehre ist er verpflichtet, Gott zu erweisen. Doch gefällt ein reines und unbeflecktes Herz Gott ebenso im Schweigen wie im Gesang. Wenn er dann die Messe gelesen hat (oder auch vorher), mag der Bischof seine Tätigkeit ausüben, sei es körperlich oder geistlich, und in allen seinen Werken soll er Barmherzigkeit üben und an Gottes Ehre denken, so dass es für die Schwachen nicht so aussieht, als ob er sich mehr um das zeitliche als um das geistliche Gut kümmern würde.

Wenn er zu Tisch geht, soll er so sprechen: „O Herr Jesus Christus, der du willst, dass der Leib mit leiblicher Speise ernährt wird, ich bitte dich, schenk mir Hilfe, meinen Körper mit dem Notwendigen so zu versehen, dass er durch unmäßiges Essen keinen Widerwillen empfindet und auch nicht wegen allzu knapper Kost verkümmert, und gib mir richtige Mäßigkeit, so dass – wenn das, was von der Erde ist und vom Irdischen lebt – der Herr der Welt nicht durch sein irdisches Geschöpf zum Zorn gereizt wird.“

Wenn er dann zu Tische sitzt, mag er mit seinen Tischnachbarn eine maßvolle Erquickung haben, aber so, dass Verleumdung und Leichtfertigkeit vermieden werden. Er soll sich auch davor hüten, dass man nicht so etwas redet, wodurch andere in ihren Lastern befestigt oder zur Sünde verleitet werden. Wer anderen zuhört, muss nämlich bedenken, was sich schickt und was vor Gott zulässig ist, was andere erbaut, und was zur Erlösung dient. So wie alle Speise an einem irdischen Tisch keinen Geschmack hat, wenn Brot und Wein fehlen, so ist an einem geistlichen Tisch alles für die Seele geschmacklos, wenn der Wein der Geistlichen Freude und das Brot der Lehre Gottes fehlen.

Deshalb soll der Bischof bei Tisch etwas zu Gottes Ehre reden, wodurch die, die mit ihm zusammensitzen, in ihren Seelen gestärkt werden können, oder er soll etwas Erbauliches vorlesen lassen, so dass bei ein und derselben leiblichen Erquickung der Körper Nahrung erhält, und die Seele geistlich unterwiesen wird.
Wenn die Mahlzeit beendet ist und man Gott für das Essen dankt, soll der Bischof etwas reden, was von Nutzen ist, und etwas verrichten, was sein Bischofsamt erfordert, oder eine Weile schlafen, wenn dies für die Natur nützlich ist, oder Bücher studieren, durch die er zum Geistlichen gelenkt werden kann.

Nach dem Abendessen kann er sich mit den Freunden seines Umgangs auf ehrbare Weise erfreuen und sich mit ihnen trösten, denn wenn der Bogen allzu straff gespannt ist, bricht er schneller. So gefällt Gott eine maßvolle Freude um der Schwachheit des Fleisches willen. Aber wie eine Mutter, wenn sie ihr Kind entwöhnen will, erst den Busen mit Asche oder etwas Bitterem bestreicht, bis sich das Kind an eine festere Nahrung gewöhnt hat, so soll auch der Bischof mit den Seinen sein, so dass er in der Freude Gemessenheit und bei der Enthaltsamkeit Milde walten lässt, soweit er die Seinen durch Worte der Gottesfurcht und Demut zu Gott hinlenkt.

Er kann sie dadurch lehren, Gott zu verehren und zu lieben, und so wird er durch seine göttliche Amtswürde sowohl ein Vater für seine Hausgenossen, als auch durch wohlwollende Unterweisung ihre Mutter und Pflegerin. Wenn er weiß, dass einer seiner Hausgenossen bis zum Tode der Seele sündigt und sich weder durch strenge oder milde Worte bessern lässt, soll er sich von diesem trennen und ihn wegjagen. Er wird nämlich durch seine Sünde auch nicht unbefleckt, wenn er ihn aus Nützlichkeitserwägungen oder aus irdischer und zeitgebundener Rücksicht behält.

Wenn er dann zu Bett geht, soll er sein Herz auf Gott hin lenken und darüber nachdenken, wie seine Gedanken und sein Begehren, seine Taten und Urteile während des Tages gewesen sind, und er soll um Gottes Hilfe und Erbarmen bitten und den festen Willen haben, sich zu bessern, wenn er kann. Wenn er ins Bett geht, soll er beten: „O Herr mein Gott, der du meinen Leib geschaffen hast, sieh auf mich in deiner Barmherzigkeit und schenk mit deine Hilfe, so dass ich nicht durch überlanges Schlafen träge in deinem Dienst werde, und auch nicht durch allzu kurzes Schlafen in deinem Dienst ermatte, sondern lehre mich, den maßvollen Schlaf zu haben, den du uns zur Erholung des Leibes verordnet hast, so dass der böse Feind dem Leib nicht schaden soll oder durch dein heimliches Gericht über die Seele Herr wird.“

Wenn er aus dem Bett aufsteht, mag er – wenn ihm des Nachts etwas Unzulässiges passiert ist – es mit der Beichte abwaschen, so dass der Schlaf der folgenden Nacht nicht mit den Sünden der vorhergehenden begonnen wird. Es steht ja geschrieben: „Die Sonne soll nicht über eurem Zorn untergehen“, und sie soll auch nicht über euren Gedanken und falschen Vorstellungen untergehen. Manchmal wird nämlich die Sünde, die lässlich und gering ist, in Folge von Versäumnis oder Missachtung zu einer Todsünde. Ich sage auch, dass er jeden Freitag Buße tut, indem er einem Priester demütig beichtet – mit dem Willen, sich zu bessern, sonst dient die Beichte zu gar nichts.“

Danach sagte Gottes Mutter: „Wenn der Bischof diesen Weg geht, will ich ihn vor drei Dingen warnen. Erstens, dass der Weg schmal wird, zweitens, dass es stechende Dornen darauf gibt, drittens, dass er uneben und steinig ist. Gegen diese drei Dinge will ich ihm aber drei Hilfsmittel geben. Das erste ist, dass er sich Kleider anzieht. Das zweite ist, dass er sich seine zehn Finger vor Augen hält, durch die er wie durch ein Gitter schauen soll, so dass nicht die Dornen seine bloßen Augen leicht und schnell durchbohren. Das dritte ist, dass er seine Füße vorsichtig auf den Boden setzt und bei jedem Schritt genau darauf achtet, ob der Fuß einen festen Halt hat, und dass er nicht übereilt beide Füße auf einmal aufsetzt, wenn er sich nicht vorher überzeugt hat, wie weit der Weg unsicher oder eben ist.

Was bezeichnet den schmalen Weg anders, wenn nicht die Bosheit und weltliches Unglück verkehrter Menschen, das den Gerechten auf seinem Weg der Gerechtigkeit hindert und beunruhigt? Dagegen soll sich der Bischof mit den Gewändern der Geduld und der Standhaftigkeit bekleiden, denn es ist eine große Ehre, für Gerechtigkeit und Wahrheit Schmach zu leiden.

Was bedeuten die zehn Finger, die er sich vor die Augen halten soll, wenn nicht die zehn Gebote, die der gerechte Mensch täglich als Spiegel benutzen soll, so dass er, so oft ihn der Dorn der Schmähung sticht, die Liebe zum Nächsten anwendet; so oft ihm die Liebe zur Welt und des Fleisches Vergnügen macht, bedenkt, was geschrieben steht: „Du sollst nicht begehren, sondern du sollst deine Begierde zügeln und beherrschen.“ Wo immer sich die göttliche Liebe findet, da gibt es ja Geduld in Trübsal, Freude in Krankheiten, Trauer über das, was überflüssig ist, Furcht vor Ehre, Demut in der Macht und Sehnsucht danach, die Welt zu verlassen.

Was bedeutet es, dass er bei jedem Schritt nachprüfen soll, wieweit die Füße einen festen Stand haben, wenn nicht dies, dass er überall eine verständig Furcht haben soll? Das Gerechte muss ja zwei „geistliche Füße“ haben, nämlich die Sehnsucht nach dem Ewigen und den Widerwillen gegen das Weltliche. Aber bei der ersteren soll Klugheit herrschen, so dass er das Ewige nicht mehr zu seiner eigenen Ehre, als zur Ehre Gottes ersehnt; er soll stattdessen all seine Sehnsucht nach Gottes Willen und Ehre richten. Bei der zweiten soll Vorsicht herrschen, so dass nicht der Widerwille gegen die Welt auf Grund von Überdruss am Leben und über eingetroffene Missgeschicke oder Müdigkeit bei der Arbeit für Gott unvernünftig wird. Ja, hier ist Vorsicht geboten, so dass der Widerwille gegen die Welt auf der Sehnsucht nach einem besseren Leben und Ekel an den Sünden beruht.

Wenn der Bischof diese beiden „Füße“ hat, indem er sogar fürchtet, dass das, was gebessert ist, nicht genug gebessert ist, und er auf diesem schmalen und Dornbewachsenem Wege fortschreitet, da will ich ihn weiter vor drei Widersachern warnen, die auf dem Wege sind. Der erste Feind zischt ihm etwas in die Ohren. Der zweite steht vor ihm, bereit, ihm ins Auge zu stechen. Der dritte liegt vor seinen Füßen, ruft mit lauter Stimme und hat eine Schlange zur Hand, um seine Füße zu umgarnen, wenn die sich bei seinem Ruf erheben.

Der erste Feind sind die Menschen oder die teuflischen Eingebungen, die auf den Bischof in dieser Weise einwirken wollen: „Warum gehst du so demütig und auf einem so schmalen Weg einher? Warum bürdest du dir so viel Arbeit auf? Geschieht das deshalb, dass du heiliger als alle anderen sein willst, wenn du tust, was kein anderer tut? Schlage lieber den Weg ein, an dessen Rande Blumen blühen, auf dem so viele wandern, so dass du nicht Gefahr läufst, verächtlich zu versinken!

Was geht’s dich an, ob die Menschen ein gutes oder schlechtes Leben führen? Was nützt es dir, denen Vorwürfe zu machen, von denen du Ehre und Liebe gewinnen kannst? Sie gehen ja weder dir oder den Deinen zu nahe! Was berührt es dich, wenn sie Gott erzürnen? Tausche stattdessen Geschenke mit ihnen aus! Nutze deine Ehre und die Freundschaft der Menschen aus, so dass du in gleichem Maße Ehrenbezeugungen der Menschen empfangen kannst und das Himmlische erhältst! Sieh, ein solcher Feind zischt und hat schon in vielen Ohren gezischt! Er ist schuld daran, dass so viele Lampen, die im Dunkel leuchten müssten, selbst dunkel geworden sind, und dass das schönste Gold in Dreck verwandelt ist.

Der zweite Feind, der die Augen besticht, ist die Schönheit der Welt und die Besitztümer der Welt, die Pracht der Kleider und der Sachen, die Gunst und Ehrenbezeugungen von Menschen. Wenn man all das ersehnt und es einem angeboten wird, blendet dies das Auge der Seele und des Verstanden bis zu den Grade, dass es angenehmer scheint, mit Simson an der Mühle der weltlichen Sorge zu stehen, als mit der Braut – der Kirche – die Fürsorge eines Hirten auszuüben.

Und da erkaltet die Liebe zu Gott (wenn es sie überhaupt gegeben hat), man begeht dreist Sünde, und das begangene Vergehen wird gering geachtet, da man sich auf die Macht verlässt, die man innehat. Deshalb soll der Bischof, wenn er die nötige und vorgeschriebene Anzahl Diener hat, was die Würde und Autorität seines Standes ermöglicht, zufrieden sein – wie geschrieben steht: „Mögt ihr ohne Gewinn und mit maßvollen Dingen zufrieden sein.“ Denn niemand, der mit ganzem Herzen für Gott kämpft, verwickelt sich in weltliche Angelegenheiten, wenn nicht gegen seinen Willen und zu Gottes Ehre.

Der dritte Feind hat eine Schlinge und ruft: „Warum demütigst du dich so, der du vor anderen geehrt werden kannst? Strebe danach, höher aufzusteigen; da kannst du in größerem Überfluss leben und auch mehr geben! Sei Priester, um unter den Ersten sitzen zu können! Sei Bischof (und dann Erzbischof oder etwas noch Höheres), um mehr Ruhe zu bekommen, mehr Dienstpersonal zu haben und größere Ehre zu genießen! Dann kannst du anderen helfen, wirst von anderen mehr gefürchtet und von vielen anderen erfreut.“

Wenn die Seele von solchen Gedanken betrogen wird, streck sich der „Fuß“ – unvorsichtig genug – gleich nach Gewinnsucht aus, und man sucht nach einer Art und Weise, zu einer höheren Stellung aufzusteigen, und die Seele verfängt sich so in den Schlingen der Gier und der zeitgebundenen Sorge, dass sie sich kaum wieder erheben kann.

Das ist gar nichts Besonderes. Die Schrift sagt ja, dass der, der ein Bischofs – oder Priesteramt anstrebt, ein gutes Werk begehrt. Was ist dieses Gute? Sicher, für die Seele und zu Gottes Ehre zu arbeiten, für das Ewige und nicht für das Vergängliche zu arbeiten. Aber nun sehnen sich alle nach Ehre und nicht nach Arbeit, die eben keine Ehre ist, sondern eine schwere Prüfung. Wo es nicht die Mühe der Arbeit für Gott gibt, da gewinnt die Seele auch keine Ehre vor Gott.

Deshalb soll der Bischof keine höhere Stellung oder eine andere erstreben, als er sie hat, denn die Schlinge liegt in der Erde versteckt, und die Falle ist auf dem Weg des Wandernden aufgestellt. Es ist also nützlich für ihn, in der Stellung zu verbleiben, die er hat, bis es Gott gefällt, in anderer Weise für ihn zu sorgen, oder ein höherer Kirchenprälat etwas anderes zu Gottes Ehre verordnet.

Das nun Gesagte ist ein Rat und eine liebevolle Warnung. Aber nun wollen wir sagen, was der Bischof nach Gottes Willen tun soll. Er muss die Bischofsmitra wohl verwahrt in seinen Armen haben, sie nicht für Geld verkaufen, sie nicht anderen aus Freundschaft überlassen und sie nicht aus Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit verlieren. Was bedeutet die bischöfliche Krone oder die Mirta anderes, als die bischöfliche Macht, nämlich Priester zu weihen, die Irrenden Zurechtzubringen und die Ungebildeten mit seinem Wort und Beispiel zu unterweisen?

Was bedeutet es, die Mirta gut zu verwahren, wenn nicht dies, fleißig zu bedenken, wie er diese Macht empfangen hat, zu welchem Zweck er sie erhalten hat, wie er sie getragen hat, und was ihm zukommt, zu tun. Wenn er nun bedenken will, wie er sie erhalten hat, soll er erst darüber nachdenken, ob er sie um seiner selbst willen oder für Gott hat haben wollen.
Wenn es für sich selbst gewesen ist, soll es verständige Furcht hegen, aber wenn es um Gottes willen geschah, war es verdienstvoll und geistlich. Wenn er sich dann fragt, zu welchem Zweck er die Macht und Würde erhalten hat, werde ich ihm sicher sagen, dass es dafür war, dass er durch seine Verdienste ein Tröster und Retter der Seelen sein soll; er lebt ja von deren Almosen, um der Ernährer der Armen sein zu können, der Vater der Reichen, Gottes Gehilfe im geistlichen Bereich und ein Eiferer für Gott.

Will er wissen, was die Frucht der Macht ist, so erklärt Paulus das gut. Wer ein guter Verwalter ist, sagt er, soll eine doppelte Ehre empfangen, nämlich eine irdische und eine geistliche. Aber der, der eine bischöfliche Tracht besitzt und kein bischöfliches Leben führt, soll sich doppelt schämen.
Was bedeutet es, dass die Macht nicht verkauft werden soll, wenn nicht dies, dass der Bischof nicht bewusst Simonistisch sein darf und das nicht bei anderen duldet, wenn er es erfährt, dass er nicht irgendwelche Leute für Geld weihen oder befördern soll, sein Amt nicht ausüben soll, um Ehre und Gunst von Menschen zu gewinnen, dass er die nicht wegen menschlicher Bitten befördern soll, von denen er weiß, dass sie unwürdig sind und ein schlechtes Leben führen.

Was ist es anderes, dass er seine Macht nicht anderen aus Freundschaft überlassen soll, wenn nicht dies, dass er die Sünden anderer auf Grund von falscher Barmherzigkeit nicht übersehen darf, sie nicht aus Freundschaft verschweigt, sich nicht mit den Sünden anderer wegen irgendwelcher menschlichen Schwachheit belastet, statt sie zu verurteilen, wie er kann und tun muss? Der Bischof ist ja ein Wächter des Herrn, und deshalb soll das Blut der Erschlagenen aus der Hand des Wächters gefordert werden, wenn er die Gefahr gesehen, aber nicht gerufen hat, oder wenn er schlief und sich nicht darum gekümmert hat.

Dass der Bischof nicht die Krone oder die Mitra aus Unachtsamkeit verlieren darf, das bedeutet, dass der Bischof nicht anderen etwas überlassen soll zu tun, was er selber tun muss und tun kann und es nicht aus Bequemlichkeit unterlässt, was er selbst auf bessere Weise als andere vollbringen kann, dass er über das Leben derer auch Bescheid weiß, denen er seine Aufträge erteilt, sondern ihr Leben versteckt und offen unter die Lupe nimmt, denen er die Aufträge anvertraut, und darauf achtet, wie sie Gerechtigkeit walten lassen, denn das Bischofsamt bedeutet keine Ruhe, sondern Fürsorge und Arbeit.

Wenn nun der Bischof, wie ich schon sagte, gelernt hat, die Mitra gut zu verwahren, ist es auch angebracht, dass er unter seinen Armen eine Blütendolde trägt, mit der er von nah und fern die Schafe zu sich lockt, denn ein guter Hirte pflegt seine Schafe mit Blumen und Gras hinter sich her zu locken. Was ist diese Blütendolde anderes, als die göttliche Verkündigung, die einem Bischof zukommt? Was sind die beiden Arme, wenn nicht das doppelte Werk, d.h., offen gute Taten zu tun und aus Gottesfurcht und als Vorbild für die nächste Umgebung im Verborgenen Gutes zu tun?

Wenn die Verkündigung also mit diesen beiden Taten vereint ist, wird sie eine herrliche Blütendolde, hinter der die Schafe, die ihm in seinem Bistum nahe sind, froh nachlaufen, und die fern wohnenden Schafe, wenn sie sein Lob hören, eifrig begehren – auf Grund der guten Worte und der Liebestaten, die den Worten folgen. Denn das bildet die lieblichsten Blumen, die Schafe anzulocken: Tugendhafte Werke zu tun und andere zu lehren, sie zu tun – nicht mit wortreicher Wissenschaft, sondern mit wenigen und liebvollen Worten. Es ist nämlich nicht angebracht, dass Gottes Herold stumm ist und auch nicht dass der Wächter über Gottes Haus blind ist.

Noch etwas fehlt dem Bischof. Wenn er ans Tor (der Kirche) gekommen ist, gehört sich es für ihn, dem höchsten König etwas zu überreichen. Deshalb raten wir ihm, dass er dem König ein für ihn höchst wertvolles Gefäß überreicht, rein und verziert. Das für den Bischof höchst wertvolle Gefäß ist sein Herz, und das soll er Gott ganz und gar mit Tugenden verziert darbringen, aber leer von Eigenwillen und weltlicher Liebe.
Wenn der Bischof dem Tor auf diese Weise naht, wird ihn eine strahlende Heerschar empfangen. Der Gottmensch (Christus) wird ihn empfangen, und die Engel werden sagen: „O Herr Gott, sieh hier einen Bischof, der unbefleckt am Fleisch war, rein im Priesteramt, mannhaft in der Tat, demütig in der Macht! Wir haben ihn um seiner Reinheit willen ersehnt, und deshalb stellen wir ihn dir vor, denn nach der hat er sich wegen deiner Liebe gesehnt.“

Da werden die heiligen Seelen im Himmel sagen: „Siehe, Herr Gott, unsere Freude ist in dir. Doch freuen wir uns auch über diesen Bischof. Denn er hat eine Blume im Mund getragen, mit der er viele Schafe gerufen hat; eine Blume hat er in der Hand getragen, mit der er die Schafe erquickte, die zu ihm kamen; Blumen schickte er zu denen, die weit weg wohnte, und hat so schlummernde Schafe aufgeweckt.

Weil er also mit den Blumen seiner Worte unseren Chor erweiterte, freuen wir uns über ihn. Freue dich auch du, Herr Gott, über diesen Mann und über seine Ehre, denn er hat sich über alles nach dir gesehnt.“ Und da wird der Herr, der Geber der Herrlichkeit, zum Bischof sagen: „O mein Freund, du bist gekommen, um mir das Gefäß deines Herzens zu überlassen, das leer von dir selbst ist, und das du von mir füllen lassen wolltest. Komm deshalb, so will ich dich mit mir selber füllen. Du wirst in mir sein und ich in dir, denn es wird nie ein Ende mit deiner Ehre und deiner Freude nehmen.“