134. Kapitel

Maria sagte: „Bedenk die Pein meines Sohnes. Er kommt jetzt.“ Und siehe, der hl. Johannes der Täufer zeigte sich und sagte zur heiligen Jungfrau Maria: „In tausend Jahren ist Gottes Zorn auf die Welt nicht so groß wie jetzt gewesen.“

Als der Sohn kam, sagte er zur Braut (Birgitta): „Für mich ist die Zeit vom Anbeginn, als ob es eine Stunde wäre, und wie lange Zeiten es für euch noch geben mag – sind sie für mich nur wie eine Stunde. Ich sagte dir vorher von den Priestern, dass ich sie unter allen Engel und Menschen ausgewählt habe, und dass sie mir mehr Schmerzen bereiten, als alle anderen.“
Und sieh, nun zeigten sich auch Teufel. Sie hatten eine Menschenseele in Händen und sagten zueinander: „Sieh den Kämpfer!“ Der Richter antwortete: „Da die Erdenwesen das, was geistlich ist, nicht hören können, und kein leibliches Auge geistliche Dinge sehen kann, sollt ihr um ihretwillen, die hier steht und der ich das Auge des Verstandes öffnen will, sagen, mit welchem Recht ihr diese Seele habt.“

Sie antworteten: „Für ihre neun Übertretungen sollen wir die Berechtigung haben, sie zu besitzen. In drei Dingen war sie nämlich unter uns, in drei Dingen so wie wir, in drei Dingen über uns. Das Erste, wodurch sie unter uns stand und wodurch wir das Recht auf sie haben, bestand darin, dass sie nach außen hin gut und ihnen schlecht war.

Das zweite bestand darin, dass sie manchmal voll von Lüsternheit und Schwelgerei war, und manchmal zugunsten ihres Leibes oder wegen einer Krankheit Enthaltsamkeit übte. Das dritte bestand darin, dass sie manchmal hart mit Worten und in Taten war, aber dass manchmal ihre Härte und Bosheit aus irgendeinem für sie selber nützlichen Anlass unterschlagen wurde.
Wir dagegen sind nicht so, sondern wir sind innerlich und äußerlich gleich, und wir sind immer hart in unserer Bosheit und immer lüstern auf alles Böse. In drei Dingen war er so wie wir, denn durch drei Dinge sind wir gefallen, nämlich durch Hochmut, Lüsternheit und Neid. Diese drei Dinge besaß er.

In drei Dingen stand er über uns und war an Schlechtigkeit größer als wir, nachdem er Priester war und deinen Leib in Händen hatte. Das erste bestand darin, dass er nicht auf seinen Mund acht gab, mit dem er deine Worte vortragen sollte, sondern so, wie ein Hund bellt, so trug er deine Worte vor, wie ein Hund. Als er deine Worte vortrug, zitterten wir wie der, der irgend einen schrecklichen Laut hört, und erschreckt gingen wir gleich von ihm fort. Er dagegen blieb ohne Scham und Furcht stehen.

Das zweite bestand darin, dass er nicht auf seine Hände Acht gab, mit denen er deinen reinsten Leib berührte, sondern sie durch allerlei Lüste befleckte. Als er deinen Leib berührte, der nach dem Aussprechen der Einsetzungsworte derselbe ist wie der, der im Schoß der Jungfrau war und gekreuzigt wurde, zitterten wir wie ein Mann, dessen ganzer Leib mit Furcht vor deiner Macht und vor der Größe deiner Kraft geschlagen war. Er dagegen bleib unerschrocken stehen und kümmerte sich nicht darum.
Als er sich dir mit seinem Munde näherte, der wie das unreinste Gefäß war, voll von aller Unreinheit, da waren wir wie die Menschen, die alle ihre Kraft verloren haben, und wie der, dessen ganze Kraft geschwunden ist. Ja, wir waren vor Furcht wie tot, obwohl wir unsterblich sind, aber er fürchtete sich nicht und bebte nicht, dich zu berühren.

Aber da es sich für den Herrn der Majestät nicht zierte, in ein so unreines Gefäß einzugehen, bist du mit deiner Göttlichkeit und Menschengestalt von ihm gewichen, und er bleib allein übrig. Und wir, die gerade eben davongelaufen sind, wir sind jetzt mit großer Hast zurückgekommen. – In all dem übertraf er uns an Bosheit, und deshalb besitzen wir ihn mit Recht. Tu uns nun den Gefallen und fälle ein gerechtes Urteil über ihn, da du ein gerechter Richter bist.“
Der Richter antwortete: „Ich höre, was ihr begehrt. Aber jetzt, du elende Seele, sag im Beisein dieser Braut, welchen Wunsch du am Ende deines Lebens hattest, als du noch deinen Verstand und deine Körperkräfte hattest?“ Die Seele erwiderte: „Es war mein Wille, ohne Ende weiter zu sündigen und niemals damit aufzuhören, aber da ich wusste, dass ich ja nicht ewig leben würde, habe ich beschlossen, bis zum letzten Augenblick zu sündigen, und mit dieser Absicht bin ich vom Körper geschieden.“

Da sagte der Richter: „Dein Gewissen ist dein Richter. Sag also in deinem Gewissen, welches Urteil du verdienst.“ Die Seele erwiderte: „Mein Urteil ist die bitterste und schwerste Pein, die in Ewigkeit ohne alles Erbarmen dauern wird.“ Nachdem die Teufel das Urteil vernommen hatten, gingen sie mit der Seele weg.

Der Herr sagte nun zur Braut: „Siehe, meine Braut, was die Priester mir antun. Ich habe sie vor allen anderen geehrt. Aber jetzt zeigen sie mich schlimmer, als alle Juden und Heiden, und mehr als alle Teufel.“