23. Kapitel

Der Evangelist Johannes sagte zur Mutter Gottes: „Höre, du Jungfrau und Mutter eines einzigen Sohnes und nicht von mehreren, du Mutter des eingeborenen Gottessohnes, dem Schöpfer und Erlöser aller! Höre (ich weiß ja, dass du hörst), wie sehr dieser Mann vom Teufel betrogen ist, wie sehr er sich bemüht, das Unmögliche zu gewinnen, wie er vom Geist der Lüge unterwiesen wurde, und wie weit er sich von Gott in Gestalt eines Schafs und mit dem Herz eines Löwen entfernt hat!

Ich habe gelehrt, dass es drei sind, die im Himmel und auf Erden Zeugnis ablegen – nämlich der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Aber über diesen Mann bezeugt der böse Geist, dass er ganz und gar so scheinheilig geworden ist, dass der Vater ihn mit seiner Macht nicht stärkt, der Sohn mit seiner Weisheit ihn nicht besucht, und der Heiligen Geist ihn mit seiner Liebe nicht entzündet. Das ist nicht verwunderlich, denn er strebt nach Macht gegen die Macht des Vaters, er will weise sein gegen die Weisheit des Sohnes, und er ist entflammt – aber in anderen Weise, als wie der Heiligen Geist es tat. Bitte deshalb deinen Sohn, dass er schleunigst abberufen wird, so dass nicht auch mehrere andere verloren gehen, oder dass er für seinen Irrtum auch bald demütige Buße tut.“

Die Mutter antwortete: „Hör du, die du Jungfrau bist, obwohl du ein Mann und keine Frau bist. Du bist die, die Gott gewürdigt hat, mit dem leichtesten Tod nächst mir von der Welt abzurufen. Ich bin gleichsam bei der Trennung der Seele vom Körper eingeschlafen und in ewiger Freude erwacht.
Das war nicht verwunderlich, denn ich trauerte bitterer als andere beim Tode meines Sohnes, und deshalb hat es Gott gefallen, mich mit dem leichtesten Tode von der Welt zu trennen. Du warst mir am nächsten unter den Aposteln, du hast größere Beweise als andere für die Liebe meines Sohnes erfahren, die Pein meines Sohnes war für dich bitterer als für die anderen, denn du sahst ihn näher als sie, und nachdem du länger als deine Mitbrüder gelebt hast, bist du sozusagen durch ihrer aller Tod zur Märtyrerin geworden. Deshalb hat es Gott gefallen, dich mit dem leichtesten Tod nächst mir von der Welt abzurufen, denn die Jungfrau wurde damit einer Jungfrau anvertraut. Daher soll es ohne Verzögerung so gehen, wie du es gewünscht hast.

Doch will ich meiner Tochter zeigen, wie dieser Mann, vom dem wir sprechen, beschaffen ist. Er ist sicher wie ein Diener bei einem Münzschmied. Mit letzterem ist der Teufel gemeint, der seine Münzen umschmelzt und hämmert – d.h. den, der ihm mit seinen Eingebungen und Versuchungen bearbeitet, bis er ihn so bekommt, wie er will. Und wenn er den Willen des Menschen verdorben hat und ihn zur Fleischeslust und Weltliebe erniedrigt hat, so drückt er ihm gleich sein Bild und seine Inschrift auf, denn dann geht aus den äußeren Zeichen allzu gut hervor, wen der Mensch mit seinem ganzen Herzen liebt.

Aber wenn der Mensch das Begehren seiner Sinne in der Tat vollkommen macht und sich mehr in weltliche Dinge einmischen will, als es seiner Stellung zukommt, ja wenn er noch mehr tun würde, wenn er nur könnte, da zeigt sich, dass die Münze des Teufels vollkommen ist. Gottes Münze ist von Gold und glänzend, biegsam und kostbar. So glänzt jede Seele, die Gottes Stempel trägt, von göttlicher Liebe, biegsam durch ihre Geduld, und kostbar durch ihre ständigen guten Taten.
Eine gute Seele wird also durch Gottes Güte „umgeschmolzen“ und unter vielen Heimsuchungen geprüft, durch die die Seele ihren Ursprung und ihre Anfälligkeit und Gottes Milde und Geduld mit ihr kennenlernt. Und sie wird Gott umso wertvoller, je demütiger, geduldiger und gewissenhafter sie erfunden wird.

Die Münze des Teufels ist dagegen aus Kupfer und Blei. Sie ist aus Kupfer, denn das hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Gold; sie ist biegsam, aber nicht wie Gold, sondern härter. So scheint die Seele des Ungerechten ihr selbst gerecht zu sein. Er verurteilt alle, stellt sein eigenes Ich vor alles andere und ist nicht bereit zu Werken der Demut, aber weichlich bei seinen eigenen Taten, schwer von dem abzubringen, was ihm eingefallen ist, wichtig für die Welt, aber verächtlich vor Gott.
Von der Münze des Teufels kann man auch sagen, dass sie aus Blei ist, denn sie ist hässlich, weich und biegsam sowie schwer. So ist die Seele des Ungerechten hässlich mit ihren unkeuschen Begierden, schwer in weltlicher Gewinnsucht, und biegsam wie ein Strohhalm für alles, was der Teufel dem Sinn eingibt, ja manchmal auch noch rascher, zu sündigen, als der Teufel mit seinen Versuchungen.

So ist dieser Diener des Münzschmieds beschaffen, denn er ist es müde geworden, die Klosterregel zu beachten, wie er es doch gelobt hat, und er dachte sich aus, den Menschen durch eine vorgespielte Heiligkeit zu gefallen, um heimlich sein Fleisch lecker mästen zu können. Und rasch betörte der Teufel dann auch seine Seele mit lügnerischen Träumen, so dass er seinen Glauben daran setzte, was unmöglich ist und nicht geschehen wird. Nun wird sein Leben verkürzt werden, und die Ehre, nach der er verlangte, wird er nicht gewinnen.
Wenn man irgendeine neue Münze findet, soll man sie aber zu einem weisen Mann schicken, der wiegen kann und genügend Kenntnis vom Aussehen einer Münze hat. Aber wie finden wir den? Und wenn wir ihn finden werden, kümmert er sich wenig oder gar nicht darum, wieweit die Münze unecht oder echt ist. In einem solchen Fall gibt es einen einzigen Ausweg, wie ich dir durchein Gleichnis erklären will.

Wenn man einem Hunde einen Gulden vorlegen würde, so würde er sich nicht darum kümmern, ihn zu nehmen, aber wenn man ihn mit einem Fett einschmieren würde, so würde er es ohne Zweifel tun. So verhält es sich auch hier. Wenn man zu einem weisen Mann geht und sagt: „Der da ist ein Ketzer, so befasst er sich nicht damit, denn seine Gottesliebe ist ganz erkaltet. Aber wenn man sagte: „Er hat viele Gulden“, so würden alle gleich dahin eilen. Daher wird es bald so gehen, wie Paulus sagt: „Ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen und demütigen, aber die Demütigen will ich erhöhen.“

Doch kannst du, meine Tochter, den Heiligen Geist an sieben Dingen von dem unreinen unterscheiden. Zum ersten bewirkt Gottes Geist, dass die Welt ihren Wert für den Menschen verliert, der in seinem Herzen dann dies alles für Luft ansieht. Zweitens macht er Gott für die Seele lieb und wird jede fleischliche Lust zum Verlöschen bringen. Drittens gibt er Geduld und die Lust, Gott allein die Ehre zu geben. Viertens erweckt er den Sinn, die Mitmenschen zu lieben und auch mit Feinden Mitleid zu haben. Fünftens schenkt er Keuschheit und Enthaltsamkeit auch von erlaubten Dingen. Sechstens lässt er den Menschen in allen Widerwärtigkeiten auf Gott vertrauen und sich deren rühmen. Siebtens schenkt er das Verlangen, erlöst zu werden und lieber bei Christus zu sein, als auf der Welt Erfolg zu haben und von ihr befleckt zu werden.

Der böse Geist bewirkt dagegen sieben andere Dinge. Erstens macht er, dass der Mensch die Welt schön findet und das Himmlische verachtet. Zweitens macht er, dass der Mensch sich nach Ehrenbezeugungen sehnt und sich selbst vergisst. Drittens erweckt er Hass und Ungeduld im Herzen. Viertens bringt er den Menschen dazu, Gott zu trotzen und auf seinen eigenen Vorsätzen zu bestehen. Fünftens lässt er den Menschen seine Sünden für unbedeutend halten und sie entschuldigen. Sechstens macht er das Herz unstet und das Fleisch unrein. Siebtens macht er dem Menschen Hoffnung auf ein langes Leben und flößt ihm Scham ein, zu beichten. Gib daher genau Acht auf deine Gedanken, so dass du nicht von diesem Geist betrogen wirst.“

Erklärung
Dieser Mann war Priester des Zisterzienserordens. Nachdem er 18 Jahre abtrünnig war, bereute er das und kehrte zum Kloster zurück. Er behauptete, es sei unmöglich, dass einer verdammt werden könne, dass Gott mit einem Mensch auf dieser Welt reden könne, und dass jemand Gottes Angesicht vor dem Jüngsten Gericht sehen kann.
Als Frau Birgitta dies hörte, sagte der Heiligen Geist zu ihr: „Geh zu diesem Bruder und sag zu ihm: „O Bruder, du siehst nicht, was ich sehe, nämlich dass der Teufel noch in deinem Alter deinen Sinn und deine Zunge gebunden hält. Gott ist ewig, und ewig ist seine Vergeltung. Wende dich daher schleunigst mit deinem ganzen Herzen zu Gott und dem wahren Glauben, denn du wirst sicher nicht von diesem Bett aufstehen, sondern sterben. Aber wenn du glaubst, wirst du ein ehrenvolles Gefäß Gottes werden.“

Er brach in Tränen aus, dankte Frau Birgitta und besserte sich vollständig, dass er bei seinem Heimgang die Brüder zusammenrief und sagte: „O meine Brüder, ich bin gewiss, dass der barmherzige Gott meine Reue angenommen hat und mir Verzeihung schenken wird. Betet für mich! Ich glaube alles was die Heiligen Kirche glaubt.“ Und nachdem er das Sakrament empfangen hatte, entschlief er.