78. Kapitel

Hochverehrter Vater! Ich, eine Witwe, bekunde, dass einer Frau, die in ihrem Vaterland lebte, viele höchste wunderbare Dinge offenbart worden sind, die von Bischöfen, Lehrern in Klöstern und Weltpriestern einer genauen Prüfung unterzogen sind und bezeugt wurden dass sie durch Erleuchtung, heiligen und übernatürliche Erleuchtung durch den Heiligen Geist und nicht anders hervorgegangen sind, was auch der König und die Königin in diesem Reich durch vernünftige Gründe eingesehen haben.

Dieselbe Frau hat eine Wallfahrt nach Rom gemacht, und als sie eines Tages in der Kirche Santa Maria Maggiore betete, wurde sie in einer geistlichen Vision entrückt, wobei der Körper wie in eine Betäubung versank, doch nicht in die Betäubung des Schlafs. In der Stunde zeigte sich ihr die höchste verehrungswürdige Jungfrau (Maria). Die Frau wurde über die wunderbare Vision erschreckt, dachte an ihre eigene Gebrechlichkeit, fürchtete, dass es ein Betrug des Teufels sei und betet innerlich, dass Gott in seiner Milde sie nicht den Anfechtungen des Teufels zum Opfer fallen lassen sollte.

Aber da sagte die Jungfrau, die sich ihr offenbarte: „Fürchte nicht, dass das, was du jetzt siehst oder hörst, von dem bösen Geist herrührt. Wenn die Sonne aufgeht, kommen Licht und Wärme, und diese folgen ja dem dunkeln Schatten nicht. In derselben Weise vernimmt das Herz des Menschen beim Kommen des Heiligen Geistes die Glut der göttlichen Liebe und die vollständige Erhellung des katholischen Glaubens. Diese spürst du nun in dir selbst, denn du liebst nichts so sehr wie Gott, und du zweifelst nicht in einem einzigen Punkt an der katholischen Glaubenslehre. Aber das kann nicht eine Folge des bösen Geistes sein, der mit einem dunkel Schatten zu vergleichen ist.“

Weiter sagte dieselbe Jungfrau zur Frau (Maria): „Du sollst auf meinen Wegen meine Worte an diesen Kirchenfürsten senden.“ Tief betrübt erwiderte die Frau: „O ehrenwerte Jungfrau, er wird mir nicht glauben, sondern – wie ich vermute – wird er die Worte eher zum Besten halten, als sie für göttliche Wahrheit anzusehen.“

Die Jungfrau antwortete ihr: „Obwohl ich die Beschaffenheit seines Herzens, die Antwort, die er dir geben wird und sein Lebensende sehr gut kenne, sollst du ihm doch meine Worte schicken. Ich will ihn darauf aufmerksam machen, dass der Bau der hl. Kirche auf der rechten Seite so zerfallen ist, dass das höchste Gewölbe viele Risse bekommen hat, die Anlass zu so einem so gefährlichen Einsturz geben, dass viele, die darunter gehen, ihr Leben verlieren. Mehrere von diesen Pfeilern, die sich in die Höhe erheben müssten, sogar dass die, die klar sehen, zusammen mit den Blinden auf Grund der gefährlichen Löcher in diesem Boden schwer hinfallen.

Deshalb ist Gottes Kirche in einer sehr gefährlichen Lage. Und was ihr daher passieren kann, das wird man bald sehen, dass es sehr nahe bevorstehe. Sie wird nämlich sicher umstürzen, sofern sie keine Hilfe zum Wideraufbau bekommt. Und ihr Sturz wird so groß sein, dass es in der ganzen Christenheit widerhallt.
Das ist in geistlicher Weise zu verstehen. Ich bin die Jungfrau, in deren Mutterlieb Gottes Sohn gewürdigt wurde, mit der Gottheit und dem Heiligen Geist zusammen Platz zu nehmen, wobei aber die ansteckende körperliche Lust vollständig fern war. Und dieser Gottessohn wurde aus meinem verschlossenen Schoß mit der Gottheit und Menschengestalt und dem Heiligen Geist geboren – zur größten Freude und ohne Schmerz.

Ich stand dann an seinem Kreuz, als er mit wahrer Geduld das Todesreich besiegte und den Himmel mit seinem Herzblut öffnete. Ich war mit auf dem Berge, als derselbe Gottessohn, der auch mein Sohn ist, gen Himmel fuhr. Ich kenne den ganzen katholischen Glauben ganz genau, den er verkündete und all denen lehrte, die ins Himmelreich eingehen wollen. Ich stehe über der Welt mit meinem eindringlichen Gebet zu meinem geliebten Sohn, wie sich der Regenbogen über die Wolken des Himmels über die Erde zu senken und sie mit seinen beiden Enden zu berühren scheint.

Mit dem Regenbogen meine ich mich selbst. Denn ich senke mich herab zu den Einwohnern der Erde und berühre die Guten und die Schlechten mit meinem ständigen Gebet. Ich beuge mich herab zu den Guten, damit sie beständig bleiben, das zu tun, was die heilige moderne Kirche bietet, und zu den Schlechten, damit sie nicht mit ihrer Schlechtigkeit fortfahren und womöglich noch schlechter werden.

Dem, an den ich diese Worte sende, will ich kundtun, dass von der einen Richtung dunkle, schreckliche Wolken aufziehen, um die Klarheit des Regenbogens zu verdecken. Mit diesen meine ich solche, die in ihrem Fleisch ein unzüchtiges Leben führen, die in ihrer Geldiger maßlos sind, und ohne Boden wie die Meerestiefe sind und ihre Güter für weltlichen Pomp und Hoffart auf unvernünftige und verschwenderische Weise weggeben, wie der rauschende Strom sein Wasser vergießt.

Diese drei Sünden werden jetzt von vielen Vorstehern der hl. Kirche begangen, und sie steigen hässlich und abscheulich zum Himmel vor Gottes Augen auf und verdecken mein Gebet, wie die dunklen Wolken den klaren Regenbogen. Und die, die stattdessen Gott zusammen mit mir besänftigen sollten, wecken also seinen schweren Zorn gegen sich selber. Solche Menschen dürften in der hl. Kirche nicht erhöht, sondern erniedrigt werden.

Wenn also jemand daran arbeiten will, dass das Fundament der Kirche bestehen und ihr Boden glatt bleibt, und der den gesegneten Weingarten wieder herrichten möchte, den Gott selbst gepflanzt und mit seinem Blut bewässert hat, sich aber diesem Auftrag nicht gewachsen fühlt, so will ich, die Königin des Himmels, ihm mit allen Engelscharen zu Hilfe kommen, um die angegriffenen Wurzeln auszureißen und die unfruchtbaren Bäume ins Feuer zu werfen, um im Feuer zu verbrennen, und an ihrer Stelle frische und fruchtbare Schösslinge zu pflanzen. Mit dem Weingarten meine ich Gottes heilige Kirche, in der die Demut und Liebe zu Gott erneuert werden müssen.“

All dies befahl die ehrenreiche Jungfrau, die sich der Frau (Birgitta) offenbarte, es euch schriftlich zuzusenden. Deshalb sollt ihr wissen, Hochverehrter Vater, dass ich, der euch diesen Brief sendet, bei Jesus, dem wahren und allmächtigen Gott, und bei seiner würdigsten Mutter Maria schwöre, dass ich den Brief nicht aus Verlangen nach weltlicher Ehre, nach Geld oder menschlicher Gunst sende, so wahr sie mir an Leib und Seele helfen mögen. Sondern ich tue das alles, was in diesem Schreiben enthalten ist (unter mehreren anderen Worten, die dieser Frau in der geistlichen Offenbarung gesagt wurden), weil mir befohlen wurde, es euer Hochwürden zur Kenntnis zu bringen.