21. Kapitel

Maria spricht: „Gesegnet sei dein Name, mein Sohn! Du bist der König der Ehre und ein mächtiger Herr; du vereinst Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Deinen für mich so teuren Leib, der ohne Sünde geboren und in meinem Schoß genährt wurde, habe ich heute für die Seele dieses Verstorbenen geweiht. Ich bitte dich also, liebster Sohn, dass er seiner Seele zum Nutzen gereichen möge. Erbarme dich über ihn!“
Der Sohn erwiderte: „Gesegnet seist du von der ganzen Schöpfung, gesegnete Mutter, denn deine Barmherzigkeit ist grenzenlos.

Ich bin wie der Mann, der einen kleinen Acker für den höchsten Preis kaufte, nur fünf Fuß breit, in dem das kostbarste Gold verborgen war. Dieser Acker ist dieser Mann. Er hatte fünf körperliche Sinne. Ich habe ihn mit meinem teuren Blut erkauft und erlöst. In ihm gab es ein kostbares Gold, nämlich die von meiner Gottheit geschaffene Seele, die nun aus dem Körper fortgeführt wurde, von dem nur noch Staub übrig ist.

Seine Nachkommen sind wie ein mächtiger Mann, der zum Gericht geht und dem Scharfrichter zuruft: „Schlag ihm mit dem Schwert das Haupt vom Leibe! Laß ihn nicht länger leben! Schone nicht sein Blut!“ So handeln diese, denn sie gehen gleichsam zum Gericht, wenn sie gebührend für die Erlösung der Seele ihres Vaters arbeiten. Und doch rufen sie dem Scharfrichter zu: „Schlag ihm den Kopf vom Leibe!“
Wer ist dieser Scharfrichter anders als der Teufel, der die Seele, die ihm zustimmt, von seinem Gott trennt? Zu ihm rufen sie: „Trenne!“, wenn sie die Demut verachten und das Gute nicht tun wollen, das sie mehr um der Hoffart und weltlicher Ehre willen tun, als aus göttlicher Liebe. Sie rufen sogar: „Er soll nicht länger leben!“, wenn sie sich nicht um seinen Tod kümmern, sondern nur daran denken, seine Güter zu bekommen.

Sie rufen auch: Sein Blut soll nicht geschont werden!“, wenn die sich nicht um seine bittere Pein (im Fegefeuer) oder darum kümmern, wie lange er sich dort aufhalten muss, wenn sie nur ihren eigenen Willen durchsetzen können. Ihr ganzes Denken ist sicher nur auf die Welt gerichtet, und sie achten wenig auf mein Leiden.“

Da antwortete die Jungfrau: „Ich habe deine strenge Gerechtigkeit gesehen, mein Sohn, aber ich spreche nicht zu ihr, sondern nur zu deiner holden Barmherzigkeit. Erbarme dich über ihn um meiner Fürbitte willen, denn er hat täglich mein Stundengebet zu meiner Ehre gelesen! Rechne ihm nicht den Hochmut seiner Nachkommen an, die sie in seinem Namen praktizieren, denn sie freuen sich darüber, aber er weint und wird ohne Erbarmen gepeinigt.“

Der Sohn antwortete ihr: „Gesegnet seist du, liebste Mutter! Deine Worte sind voller Süßigkeit, ja süßer als Honig. Sie gehen aus deinem Herzen hervor, das voller Barmherzigkeit ist, und deshalb hört man sie ja auch von Mitleid reden. Der, für den du bittest, soll deinetwegen dreifache Barmherzigkeit erlangen. Erstens soll er aus den Händen der Teufel befreit werden, die ihn wie unersättliche Raben zerfleischen.

Denn so wie Vögel, wenn sie einen erschreckenden Laut hören, den Raub loslassen, den sie in den Klauen halten, ihn liegen lassen und fliehen – so sollen die Teufel deinetwegen seine Seele verlassen und sie nicht mehr berühren, oder sie beunruhigen. Zweitens soll er aus einem schwereren in ein leichteres Feuer versetzt werden. Drittens sollen ihm heilige Engel trösten. Doch ist er noch nicht ganz erlöst, und noch braucht er Hilfe. Du kennst und siehst ja alle Gerechtigkeit in mir: Dass keiner in die Glückseligkeit eingehen kann, wenn er nicht wie Gold im Feuer gereinigt wird. Deshalb soll dieser um deiner Bitten willen ganz befreit werden, wenn die Zeit der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit da ist.“