42. Kapitel

Die Mutter spricht: „Von meiner Jugend an habe ich immer an die Ehre meines Sohnes gedacht, und stets war ich darauf bedacht, wie ich ihm gefallen könnte. Sicher ist alle Ehre im eigenen Munde weniger ehrenvoll, aber ich sage dies doch nicht in der Weise derer, die ihr eigenes Lob suchen, sondern ich rede zur Ehre meines Sohnes, meines Gottes und meines Herrn. Er hat auf seltsame Weise die Sonne an den Himmel gesetzt und ein brennendes, aber auch nicht verzehrendes Feuer im Trockenen gesetzt, und die edelste und lieblichste Frucht ohne Feuchtigkeit hervorgebracht.“

Dann wandte sie sich an den Sohn und sagte: „Gesegnet seist du, mein Sohn! Ich bin wie die Frau, die beim Herrn Gehör findet und um Mitleid für die Schuldigen und Machtlosen bittet. So bitte ich dich für meine Tochter, da sie schüchtern ist, ja ich bitte für deine Braut, deren Seele du mit deinem Blut erlöst hast, die du mit deiner Liebe erleuchtet hast, mit deiner Güte erweckt hast, und mit der du dich durch deine Barmherzigkeit verlobt hast.
Ich bitte dich, mein Sohn, gib ihr drei Dinge. Erstens wertvolle Kleider, denn sie ist die Tochter und Braut des Königs der Könige. Wenn die Braut des Königs keine königliche Tracht besitzt, wird sie ja von allen verachtet, und wenn sie sich weniger höfisch trägt, wird sie zum Gegenstand von Schimpf und Tadel. Gib ihr also Kleider nicht von der Erde, sondern vom Himmel, - nicht solche, die nach außen glänzen, sondern die inwendig von Liebe und von Keuschheit strahlen.

Schenke ihr das Gewand der Tugenden, so dass sie nicht um äußere Dinge zu betteln braucht, sondern innerlich Überfluss hat, ja dass sie auch andere durch ihre kostbare Kleidung belehren und erleuchten kann. Gib ihr zweitens eine feinere Kost, denn deine Braut ist gröbere Kost gewöhnt, aber nun muss sie sich an deine Kost gewöhnen. Das ist die Kost, die man berührt, aber nicht sieht, die man hält aber doch nicht spürt, die zwar sättigt, aber für die Sinne nicht spürbar ist, die in den Menschen eingeht und überall ist.

Das ist dein allerwürdigster Leib, der durch das Passahlamm angedeutet ist. Deine Menschengestalt, die du von mir angenommen hast, hat ihn wunderbar vervollkommnet, und deine Göttlichkeit zeigt ebenso wie deine Menschengestalt täglich, wie selig er vollendet ist. Mein Sohn, gib deiner Braut diese Kost, denn ohne sie welkt sie dahin, wie ein Kind ohne Milch. Ohne sie verdorrt sie, aber mit ihr und durch sie erhält sie neue Kräfte zu allem Guten, wie ein Kranker durch Essen.

Schenk ihr drittens, mein Sohn, den mehr glühenden Geist, denn dieser Geist ist das Feuer, das nie entzündet wurde und doch nie erlöscht, das bewirkt, dass das Angenehme, was man gesehen hat, seinen Wert verliert, und dass man auf das Kommende hofft. Gib ihr diesen Geist, mein Sohn!“
Da antwortete der Sohn: „Liebste Mutter, deine Worte sind lieblich, aber du weißt ja, dass der, der das Hohe sucht, soll erst das tun, was Stärke erfordert, und Demut üben. Daher sind drei Dinge für sie notwendig. Erstens, dass sie Demut besitzt, denn dadurch erhält man das Hohe. Sie soll aber wissen, dass das Gute, was sie hat, das hat sie aus Gnade und nicht durch ihre eigenen Verdienste.

Zweitens ein gebührender Dienst, der dem Geber der Gnadengaben das wieder gut macht. Drittens die Furcht, dass sie die Gnade nicht verliert, die ihr verliehen ist. Damit sie also die drei ersten Dinge gewinnt und besitzt, die du für sie erbeten hast, darf sie die drei letzteren nicht vergessen. Es nützt ja nichts, etwas gewonnen zu haben, wenn man nicht weiß, dass man das Gewonnene auch besitzen darf, und wenn man das Gewonnene wieder verliert, so quält das den Sinn mehr, als wenn man es nie gewonnen und besessen hätte.“