61. Kapitel

Die Mutter spricht: „Erinnere dich, o Tochter, dass ich vor einigen Jahren Hieronymus wegen seiner Zweifel an meiner Aufnahme (in den Himmel) entschuldigt habe. Aber jetzt will ich dir die Wahrheit über diese Aufnahme mitteilen. Nach der Himmelfahrt meines Sohnes lebte ich noch lange Zeit auf der Welt, und das wollte Gott auch, damit sich viele Seelen, nachdem sie meine Geduld und meine Tugenden sahen, zu ihm bekehrten, und Gottes Apostel und andere Auserwählte gestärkt wurden. Und doch wollte die natürliche Veranlagung meines Körpers, dass ich lange leben sollte, damit meine Krone vermehrt würde.

Denn die ganze Zeit, die ich nach der Himmelfahrt meines Sohnes noch lebte, besuchte ich die Plätze, wo er gelitten und seine Wundertaten gezeigt hat. Seine Pein war so fest in meinem Herzen verwurzelt, dass sie – ob ich aß oder arbeitete – wie frisch in meinem Gedächtnis war, und meine Sinne waren von weltlichen Dingen so abgewandt, dass ich ständig wie von neuen Begierden und außerdem von Schmerz entzündet wurde. Doch beherrschte ich meinen Schmerz und meine Freude so, dass ich nichts von dem versäumte, was Gott zukam.

Und mein Wandel unter den Menschen war so, dass ich nur eine sehr knappe Kost von dem zu mir nahm, was für die Menschen nahrhaft ist. Aber meine Aufnahme war vielen nicht bekannt und wurde auch von vielen nicht verkündet. Das wollte Gott, der mein Sohn ist, damit die Bereitschaft, an seine Himmelfahrt zu glauben, erst im Herzen der Menschen Wurzel fassen sollte. Wenn das Herz der Menschen es schwer hatte, an seine Himmelfahrt zu glauben – wie viel mehr wäre das dann der Fall gewesen, wenn meine Aufnahme (in den Himmel) schon am Anfang des Glaubens verkündet worden wäre?“